HOFKUNST.

/Mitteilung./ Soeben habe ich beschlossen, Ihnen wieder zu schreiben, lieber U.. Einfach so. Aus freiem Willen, wie man so schön sagt. Oder sagt man “aus freien Stücken?” Ja. Eher so, glaube ich. Nicht, weil Sie mich dafür bezahlen, schreibe ich Ihnen. Sondern weil Sie mich damit unendlich bereichern, wenn Sie es mir erlauben. So sieht es aus. Sie glauben gar nicht, wie sehr Sie mir gefehlt haben, mein Lieber. Sehr! Ich kam heute von einer Ausstellungseröffnung nach Hause und mein ganzer Innenraum vibrierte vor Widerstand, Ekel. Ein Kunstekel, der sich kaum benennen, in Worte fassen lässt. Ich sah Kunsthäufchen! Fein säuberlich aufgereiht und in elegant ausgeleuchteten Vitrinen vor vereinnahmenden Übergriffen geschützt Begehrlichkeiten weckend. Vitrinen wie Panzer aus hartem Palisanderholz und dickem Glas. Bitte bloß keine Berührung!!! Ein Satz aus dem Kontext der Ausstellung hat mich auf dem Heimweg noch nachhaltig beschäftigt. “Dann sollen sie eben Kartoffeln essen!” – hieß es da. In Abwandlung des Ausrufs von Marie Antoinette am Hofe König Ludwigs des XVI., als man ihr die Nachricht überbrachte, dass das Volk hungerte und sich nicht einmal mehr ein Stück Brot leisten könne. “Dann sollen sie eben Kuchen essen”, sagte die luxusverwöhnte Königin damals. Angeblich. Und wie war das hier eigentlich gemeint? Der Éspace Vuitton als Hof Ludwigs des XVI.? Die elitäre Kunstwelt völlig hermetisch abgeschlossen von der Wirklichkeit der Welt da draußen? Ein Kunstvolk, das geistig verhungert und dem man in seiner geistigen Not Kartoffeln vorsetzt?

Kartoffeldrucke wurden dem Hofstaat Louis Vuittons aufgetischt. Mit feinster farbiger Louis Vuitton Tinte auf edlem Bütten aufgebracht und von Künstlerhand signiert. In farblich voneinander abgesetzten Häufchen wie teure Shirts gestapelt. Allerfeinste, hochwertige Kunstware! War das die subversive Poesie, von der die Künstlerin bei der Ankunft in ihrem höfischem Atelier sprach? Und was für eine Poesie war das eigentlich? Eine Poesie der Nachahmung und der Täuschung? Mimikry? Mimikry als künstlerische Strategie des Überlebens in einer von Waren und ihrem Konsum beherrschten Gesellschaft? Einer Gesellschaft, wo man dem Künstler einen goldenen Artist-in-Residence-Käfig zum Arbeiten gibt und ihn jeden Tag den Finger herausstrecken lässt, um zu sehen, ob er auch schon fett ist? Und wo man als Künstler ein Knöchelchen herausstreckt, um zu überleben? Ich fasse es nicht, lieber U.. Ich fasse es einfach nicht. Tatsächlich schreibe ich Ihnen, weil ich das im wahrsten Sinne des Wortes nicht “fassen”, nicht “halten”, “für mich behalten” kann. Weil ich es los werden muss.

Zutiefst verwirrt.
Ihre K.M.

Kommentieren