WETTBEWERB.


/Betrachtung./ In diesem Jahr gibt es keinen “Kreativitätsnachweis” in Form von einer schön gestalteten Weihnachtskarte, liebe E. Erstens hatte ich keine Zeit. Und zweitens hatte ich keine Lust, um ehrlich zu sein. Stattdessen hier ein paar persönliche Gedanken dazu…

Das Thema “Wettbewerb” beschäftigt mich sehr in letzter Zeit. Wir leben in einer “Wettbewerbsgesellschaft”. Und was das heisst, kann man sich am Beispiel “Weihnachtskarte” ganz gut klar machen… Denn aus der Perspektive einer Kreativagentur hat eine Weihnachtskarte den Charakter eines Rankings. Wenn man sich der Aufgabe ernsthaft stellt, dann muss man sich dabei vorstellen, mit 50 anderen Weihnachtskarten oder Social Media Gags einen Schreibtisch zu bevölkern… Eine wunderschöne Metapher für unseren Verdrängungsmarkt, findest Du nicht? Wer hat die schönste, edelste, aufmerksamkeitsstärkste, lustigste, sympathischste, kreativste Weihnachtskarte? Wer wird gesehen? Wer schafft Vertrauen? Wer wird “gekauft”? Wer bleibt im Gedächtnis? Und wer wandert gleich in die Tonne? Zumindest aber möchte man doch auf dem Tisch nicht fehlen. Was dazu führt, dass tausende und abertausende von Designern, Werbern und Kreativen in der Vorweihnachtszeit ihre Botschaften konzipieren, entwickeln, gestalten, schreiben oder basteln und dafür Unmengen an Ressourcen verbraten. Und das im Zeitalter des Internet. Wo mit ein paar Mausklicks alles abrufbar ist. Ein kurzer Blick auf Google genügt, um sich dieses >BILD einmal klar vor Augen zu führen. Du kannst zwischen 1.500.000 Treffern auswählen…

Um ehrlich zu sein, finde ich dieses Bild erschütternd. Wenn ich d-a-s sehe, dann frage ich mich ernsthaft, ob wir noch ganz gescheit sind. Wäre es nicht schön, wir würden einfach alle einmal “zusammenarbeiten”, statt ständig, immer und überall nur miteinander zu “konkurrieren”? Diese u-n-g-l-a-u-b-l-i-c-h-e Verschwendung, die dieses Wettbewerbsmodell mit sich bringt… wem soll das nützen? Dem Verbraucher etwa? Natürlich leuchtet es mir ein, dass Du Dich über jede dieser Aufmerksamkeiten, die Du in der Vorweihnachtszeit bekommst, richtig freust. Du “denkst” an ihren Absender und fühlst Dich von ihm “bedacht”. Dagegen ist ja auch nichts einzuwenden. Aber erstens weisst Du auch, dass mit Dir noch 50 bis 200 andere genauso bedacht werden und zweitens gäbe es dazu doch reichlich natürlichere Gelegenheiten als zu Weihnachten. Und mal ehrlich: geht es hier überhaupt noch ums “An-jemanden-denken” oder “Von-ihm-bedacht-werden”? Stell Dir einmal vor, Du hättest anstelle der 50 Weihnachtsgrüße, die alle um die Gunst Deiner Aufmerksamkeit buhlen, nur eine einzige auf dem Tisch: eine einzige Karte, die aus einem guten Geist der Co-Kreation heraus entstanden ist… Wäre das nicht wunderbar? Nur eine einzige Karte, vielleicht mit den Namen und den Fotos all der Leute, die sich zusammen gefunden haben, um Dir eine Freude zu machen? Vielleicht auch von jedem ein paar persönliche Zeilen dazu? Oder eine Dose mit lauter verschiedenen Plätzchen, wo Du wüsstest: dieses Kipferl schickt mir die Druckerei, der Zimtstern ist von der Eventagentur und das Butterplätzchen von mir. Wäre das nicht fein? Die Plätzchen auf dem Foto sind übrigens von den Mädels aus R.’s Klasse. Sie haben “gesammelt”, um ihrer Klassleiterin ein Weihnachtsgeschenk zu machen. Ich liebe dieses Bild…

So muss es sein, finde ich. Und jedenfalls: sich das einmal zu überlegen – wie man das Modell der Co-Kreation in so einer konkreten Wettbewerbs- situation umsetzen könnte – würde mir riesig Freude machen.

Vielleicht schaffe ich es bis zum nächsten Jahr? Für dieses Jahr wünsche ich Dir jedenfalls schon einmal:

Jede Menge Aufmerksamkeit. Und Freude!

Herzlich,
K.

13 Kommentare zu “WETTBEWERB.

  1. Susanne

    Liebe K.
    Wunderbares Bild, kriege gleich Lust zu Knabbern…
    Wettbewerb, ja der Wettbewerb, die Kompetition, der bewertende Vergleich, das Sortieren nach Sehr gut, gut,geht so, schlecht und total mies. Ist das nicht eines Deiner liebsten Beschäftigung in der Rezeption von Kunst, Design und was auch immer? Habe ich nicht von Dir gelernt, was mieses Design ist und was brillantes? Darfst Du denn im Geiste der Kollaboration solche Bewertungen überhaupt noch machen?
    Bewerten wir nicht alle ständig und überall? Die Lehrerin ist super, die ist unter aller Sau. Die Wohnung von dem und dem ist super eigerichtet. Au weia, die und die leidet wohl an Geschmacksverirrung. Wow, der Style von ihm ist wirklich gut. Was sie trägt passt überhaupt nicht usw.usw.
    Bewertendes Vergleichen, wo Du hinschaust. Und damit Wettkampf, Kompetition. Apropos, ist er gut im Bett?
    Darwin: Survival of the fittest…
    Mich motiviert Wettkampf, andere lähmt es. Hoffnung auf Erfolg versus Furcht vor Misserfolg. Ich glaube, dass man sich mehr anstrengt, wenn man mit anderen verglichen wird. Ich glaube, dass man die eigenen Talente entdeckt, wenn man versucht möglichst gut zu sein. Ich glaube aber auch, dass jede/ r Schonräume braucht, in denen Ruhe herrscht. Die Ruhe vor der Kompetition.

  2. Katalin

    Vorsicht, Susanne. Ich würde das nicht in einen Topf werfen: Das Unterscheiden, Vergleichen und Bewerten auf der einen Seite, den Wettbewerb auf der anderen Seite…

    Mit “Wettbewerb” meine ich alle Formen des “Rankings”, des “Wettstreits” mit anderen: all das, wo es darum geht, der Beste zu sein, zu gewinnen, bzw. andere damit zwangsläufig zu Verlierern zu machen. Und es ist schon richtig, dass es keinen Wettbewerb ohne Wertung gibt. Aber warum soll es keine Wertung ohne Wettbewerb geben? Ich kann doch sagen, ich finde das super. Punkt. Aber davon dürfen die anderen doch Dinge machen, die ich nicht so super finde. Jeder sollte schauen, dass er sich auf seiner eigenen Werteskala verbessert. Aber eine Skala, an der alle gemessen werden?

    Konkret: Warum gibt man an dem Literaturabend nicht einfach jedem Autor ein ehrliches Feedback? Warum müssen die Autoren aufs Siegertreppchen steigen? Wie fühlt man sich als “Verlierer”? Und meinst Du, ich fände es toll, der Gewinner zu sein, wenn ich wüsste, Du hättest verloren?

    Es gibt ein sehr interessantes Buch von Joachim Bauer: >PRINZIP MENSCHLICHKEIT. Er widerlegt sehr eindrucksvoll die darwinsche These vom Kampf ums Überleben. Seiner Meinung nach sind wir Menschen so angelegt, dass wir kooperieren, einander helfen. Uns gut fühlen, wenn wir für jemanden etwas tun können etc..

  3. Susanne

    Liebe K. (schön kafkaesk!)
    ich verliere glaube ich nicht. Dann würde ich da eventuell gar nicht lesen. naja, vielleicht verliere ich doch. ich habe schon öfter mal verloren. das habe ich auch ausgehalten. man sollte nur auch ab und an mal nicht verlieren.
    feed back gibt es zu jeder/m lesenden.
    danach gehen alle ins kalami. ich meine, dass der wettkampf nicht zwangläufig zur entzweiung der menschen führt. im gegenteil. ich meine, dass wettkampf auch ein stark vereinigendes moment hat. da kommen leute zusammen, die sich mühe gemacht haben mit ihren texten und die sind gespannt darauf, was die anderen sagen.
    ich glaube das gelingt, wenn man die sachliche von der persönlichen ebene trennen kann. und da sind wir wieder beim guten alten selbstwertgefühl angekommen. die grundlage des gefühls der selbstsicherheit. das ist es auch, weshalb so viele menschen beim velieren ins straucheln geraten, weil sie ihren selbstwert an ihre arbeiten dran hängen. weil sie sozusagen nicht “über den dingen stehen”.
    stelle dir die frage: wer bin ich ohne meine arbeit?

  4. Katalin

    Das ist sehr schön und anschaulich gesagt, Susanne. Die Notwendigkeit der Trennung der sachlichen von der persönlichen Ebene. Das “Drüberstehen”. Das Gefühl, stehen zu bleiben, wenn die Arbeit fällt… Aber vielleicht ist das auch so ein Prozess bei einer künstlerischen Arbeit. Dass man sich von der Arbeit distanzieren, sich ablösen, sich darüber “erheben” muss, um sie zum Abschluss zu bringen. Denn beim Arbeiten selbst bist Du ja völlig verbunden mit Deiner Arbeit. Geradezu identisch mit ihr. Und Du musst das ja auch sein… Seltsamerweise stelle ich mir immer vor, wie ich verliere. Wie ich nach einer halben Seite lesen merke, dass mir keiner zuhört… Was hältst Du davon, wenn wir unsere Texte tauschen? Du liest meinen Text vor, ich lese Deinen…

  5. Susanne

    nein, bitte nicht!
    Dazu bin ich doch zu sehr eins mit meinem Text.
    Wie ist es mit über sich selbst lachen können?
    Ich erinnere mich an eine Prüfung an der Sorthochschule, in der man den Schein nur bekommen hat, wenn man sich vor allen Leuten zum Affen gemacht hat. Das war eine wertvolle Erfahrung. Denn ich merkte: Huch, ich kann das überleben, dass andere mich auslachen, super!

  6. Katalin

    Also wie. Du bist also doch eins mit Deinem Text? Und gleichzeitig stehst Du so drüber, dass es Dir egal ist, wenn man Dich auslacht? Außerdem: auslachen geht ja noch. Stell Dir vor, Du merkst, es hört Dir keiner zu. Es nervt. Man wartet nur darauf, dass Du endlich fertig bist. Die Leute tuscheln untereinander. Sie lesen das Programmheft undsoweiter.

    Ich war mal auf einer Tanzperformance, wo die Leute nach einer Weile völlig abgenervt aufstanden und raus gingen. Der Tanz, die Aufführung selbst, die Stimmung im Saal – alles gespannt bis zum Anschlag… Und die Tänzer machten einfach weiter. Am Ende des Stückes waren nur noch 30% der Zuschauer im Raum und die tobten vor Begeisterung…

    Aber mal ehrlich. Würdest Du das durchhalten? Nun war das eine Gruppe. Die hatten wenigstens sich. Aber als Autor sitzt Du dann ganz allein da vorne!

  7. Susanne

    10 Minuten. Und das Publikum ist sehr diszipliniert. Jetzt hab doch nicht solche Angst! Machs halt, oder machs nicht und schaus dir an.

  8. Katalin

    Na klar, mache ich das. Aber ich mache das, o-b-w-o-h-l ich eine Riesenangst davor habe, verstehst Du? Wo kämen wir da hin, wenn wir nur das täten, wovor wir keine Angst haben? ;-)

  9. Susanne

    natürlich:
    Das Leben ist immer an der Angst lang!

  10. Katalin

    Hi, hi… Wo geht’s bitte zum Leben? Immer der Angst entlang!

  11. Susanne

    habe ich von einer türkin aus köln, die asylbewerberin war…

  12. Katalin

    Monate später…………………………….. In jedem Fall war es wieder mal sehr lehrreich, Susanne! Und ja. Du hast Recht. Der 5. Platz ist ein ziemlicher Sieg. Erst recht, wenn man schon einmal den 1. Platz hatte. Es ist nicht nur ein großer Sieg im “Verlieren”. Sondern auch ein kleiner Sieg der “Verbundenheit”. Der Verbundenheit zwischen Menschen, die sich wertschätzen und mögen. Völlig unabhängig davon, ob man gewonnen oder verloren hat. Das ist doch was, oder? Ich habe gerade eben unseren “stream” von damals durch gelesen und fand ihn in diesem Kontext richtig klasse…

  13. Susanne

    ja. genau. so war das auch gemeint mit der verbundenheit und dass ich mich da selbst als “nicht-gewinnerin” des preises doch aber als siegerin in einem schönen abend gefühlt habe…

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