HIRTENBRIEF.

/Gedankenspiel./ Lieber Pfarrer S., ein berauschender Auftritt war das wieder einmal gestern Abend. Gratulation! Heute Morgen sitze ich allerdings ein wenig verkatert am Frühstückstisch und frage mich –

Ähm… Was war nochmal die message?

Ach ja. Richtig…

„Pfarrer S. ist super!“

Aber Moment mal. Wussten das nicht alle schon vorher?

Und…

Interessiert mich das eigentlich?

Ehrlich gesagt – nein. Das interessiert mich nicht. Obwohl es mich durchaus interessiert hat, ob es auch wirklich stimmt, was alle schon wussten. Und was mich in diesem Zusammenhang auch interessiert: Woher wissen die das eigentlich alle? Woher weiß ich es??!? Ich kenne Sie doch gar nicht! Ich habe ja noch nicht einmal Ihr Buch gelesen!! Geschweige denn einen Ihrer Gottesdienste jemals besucht!!! Oder um ganz ehrlich zu sein: ich habe Sie immer gemieden. Jawohl. Das habe ich. Wie der Teufel das Weihwasser habe ich Sie gemieden. Und auch wenn es gerade durchaus interessant wäre, diesem Vergleich ein wenig nach zu gehen, also wenigstens ein ganz klein wenig – Sie das Weihwasser, ich der Teufel – möchte ich dieser Versuchung einmal widerstehen und stattdessen lieber fragen:

Warum eigentlich?

Ich meine: warum gehe ich Ihnen geradezu verstockt aus dem Weg während alle anderen Sie geradezu lustvoll umschwärmen?

Nun. Ich will es Ihnen sagen, mein lieber S. – und bitte verzeihen Sie mir diese ein wenig herabwürdigende Anrede. Aber das reimt sich gerade so schön. Außerdem fühlt es sich gerade so wunderbar herrlich an, mich in meine eigene Herrlichkeit – huiiiii… – empor zu schwingen… Ist das nicht herrlich?

Übrigens…

Das Wort „herrlich“ kommt gar nicht von „Herr“. Das muss ich an dieser Stelle ganz schnell noch einfügen. Ich habe es extra gegoogelt. Es hat aber dieselben Wurzeln. Nämlich das Wort „hehr“. Wie in „hehren” Zielen. Und das Wort “hehr” hieß ursprünglich „ehrwürdig“, später dann „vornehm“, „erhaben“. Weshalb man die Führungskräfte der damaligen Zeit auch als „Herren“ bezeichnete. Und nur weil dieser Posten damals ausschließlich Männern vorbehalten war, ist das Wort bis in unsere Tage an den “Herren” der Schöpfung kleben geblieben. Und zwar so sehr, dass man das Männerklo heute noch mit einem „H“ kennzeichnet… Das muss man sich einmal vorstellen! Wo doch nach unserem heutigen Verständnis durchaus auch Frauen „Herren“ sein können, nicht wahr? Siehe Frau Merkel. Aber egal. Was wollte ich eigentlich sagen?

Ach ja, richtig…

Ich wollte Ihnen sagen, warum ich Ihnen aus dem Weg gehe. Wie übrigens auch jetzt gerade, stimmt´s? Mit diesen verschlungenen Umwegen über das Wort „herrlich“, über das ich unlängst gestolpert bin und in der Folge viel nachgedacht habe. Insbesondere über die Verbindung von „selbst“ und „herrlich“. Wie in „selbstherrlich“. Ich frage mich nämlich, was das eigentlich ist? Ich meine: „selbstherrlich“? Im Unterschied zu „fremdherrlich“ oder wie??!?

Aber gut. Keine Umwege. Passen Sie auf. Jetzt sage ich es Ihnen. Ganz offen, ehrlich und direkt:

Warum ich Ihnen aus dem Weg gehe?

Weil Sie mir auf die Nerven gehen, mein Lieber. Jawohl. Ganz gehörig sogar. Weil Sie mir dermaßen auf die Nerven, fast möchte man sagen, “auf den Geist” gehen mit Ihrem *selbstherrlichen* Gehabe, dass ich vor Wut platzen oder einfach nur – wie Sie als Ministrant damals und noch dazu direkt vor den Altar – kotzen könnte! Nicht zum Aushalten ist das!!!

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Oups!

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Jetzt isses raus.

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Ojeh.

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Und jetzt aber…

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Boah ey…………..Wow!

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Was für eine Energie da frei wird, wenn diese Wut erst einmal raus ist!!!

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Mann, Mann, Mann.

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Sind Sie noch da?

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Jetzt geht es mir entschieden besser… Ich fühle mich – befreit! Tschuldigung. Da war so ein übermächtiger Druck in mir. Und wissen Sie was? Das musste einfach mal raus…

Übrigens Eines muss ich Ihnen wirklich lassen, mein Guter: Wäre ich Programmdirektor beim Fernsehen, dann würde ich Ihnen zack-bumm-sofort einen Sendeplatz frei machen. Den von dem Bähmann vielleicht. Der ist doch ohnehin nicht mehr tragbar! Und dann stelle ich mir vor, wie Sie bei Ihrer supergenialen Pfarrer-S.-Show einen Lacher nach dem anderen landen und auf dem Konto Ihres Unterhaltungswertes verbuchen. Und wie Sie dann vor laufender Kamera meinen blöden Brief vorlesen und gleich noch ein paar Lacher mehr abräumen. Ist das nicht klasse? Und überhaupt… Das wäre doch ein prima Format, oder? “Pfarrer S. beantwortet seine Post”. Man könnte natürlich auch einen Youtube Kanal für Sie einrichten. Oder… Jaaaah! Genau, genau… Warum nicht gleich zu ProSieben gehen? “Schieß mich tot” statt “Schlag den Raab”? Da kann man mit Quote auch noch prima Kasse machen! Für einen guten Zweck natürlich. Wir sind schließlich bei der Kirche…

Okay.

Das war jetzt blöd.

Was ich damit eigentlich sagen oder vielmehr fragen möchte, ist etwas ganz anderes, nämlich:

Braucht Kirche wirklich Quote?

Oder um es noch einmal anders, eindrücklicher und in der Sprache von J. zu formulieren: Braucht ein Hirte Schafe, damit er “gut” ist? Möglichst viele? Oder brauchen vielmehr diese Schafe einen Hirten? Einen möglichst “guten” Hirten? Weil nur der “gute” Hirte ihnen das bietet, was sie wirklich brauchen? Orientierung beispielsweise. Oder Halt. Vielleicht sogar ZusammenHalt? Oder auch Raum? Raum für all das, was in ihnen nach Raum sucht? Raum braucht? Sich nach Raum sehnt?

Also ich jedenfalls brauche so jemanden. Ganz dringend nämlich. Und wenn es diesen “Jemand” irgendwo gibt, dann finde ich “den”. Oder auch “die”. Denn natürlich kann dieser Hirte auch eine Hirtin sein. Hauptsache “der” oder “die” ist für mich da. Also nicht umgekehrt. Und Hauptsache “der” oder “die” hilft mir dabei, in eine gute und lebendige Beziehung zu G. zu kommen. Und mein Leben aus dieser Beziehung heraus zu gestalten. Und wenn ich sage, ich finde „den“ oder „die“, dann meine ich das genau so. Ich bin es, die findet. Nicht Sie. Oder ein Anderer. Da können Sie machen, was Sie wollen. Es gibt kein Fremdfinden. Finde ich zumindest. Weil G. mich längst gefunden hat. Und so finde ich. Egal wo. Egal wie. Notfalls auch außerhalb von der Kirche. Oder sagen wir lieber – außerhalb von dem, was wir heute “Kirche” nennen. Und wer weiß? Vielleicht ist die Kirche deshalb so leer, weil die Schafe alle draußen auf der Suche sind? Während die Hirten drinnen miteinander wetteifern, wer von ihnen der Tollste ist? Oder wer die meisten Schafe hat? Und wie man die am besten erreicht? Umwirbt? Bespaßt? Kauft? Rettet? An sich bindet? Kontrolliert? Von sich abhängig oder womöglich sogar glücklich macht?

Na Dankeschön. Die armen Schafe…

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So.

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Und jetzt muss ich aber ganz dringend die Spülmaschine ausräumen und das Bad putzen. Hier sieht es ja aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen! Hat es ja auch. In gewisser Weise, nicht wahr? Und bitte fragen Sie mich jetzt nicht, was das alles mit Ihnen zu tun hat. Ich meine… woher soll ich das denn wissen? Du liebe Güte! Ich kenne Sie doch gar nicht! Müssen Sie denn immer alles auf sich beziehen? Es geht hier doch gar nicht um Sie. Es geht hier um mich, Sie Volltrottel… Ihr Schaf! Oder noch schlimmer:

Es geht um uns alle!!!

Ja. Es geht um uns alle. „Kirche“ war ursprünglich ein Raum, in dem es um uns alle gehen konnte. Und diesen Raum will ich gerne bitteschön wieder haben. Und zwar sofort!

Mein aufrichtiges Dankeschön in diesem Zusammenhang an Sie, dass Sie mir so “gehörig” – was für ein tolles Wort – “auf den Geist” gegangen sind. Neulich. Bei Ihrer Lesung. Auch das eine Form des Für-mich-da-Seins womöglich. Denn ohne Sie und Ihr nervtötendes Auftreten wäre ich nie auf die Idee gekommen, einzutreten: Für all das nämlich, was mir wirklich wichtig – man möchte sagen – was mir “heilig” ist. Und das könnte dann auch wieder ein prima Motto für die Kirche sein:

“Eintreten statt austreten.”

Müssen wir dazu überhaupt “auftreten”, frage ich mich gerade? Und wenn ja, wie? In welcher Form? Und wie würde J. das eigentlich sehen, wenn er uns dabei zusehen könnte?

Mit der Bitte um Führung.

Es grüßt
K.M.

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